Viel Leid und Unrecht verging, bis aus den Ideen der Aufklärung und der humanistischen Philosophie eine politische Realität wurde. Nach zwei Weltkriegen ist die Zeit reif für ein Europa ohne Grenzen und Blutvergießen.
Die Idee der Europäischen Union ist großartig - doch auch hier gibt es noch viel zu tun. Deshalb obliegt uns allen, diesen Ansatz voranzutreiben - nicht nur in den politischen Strukturen, sondern auch in unserer Gesellschaft.
Demokratie braucht Transparenz und Kommunikation
Entscheidungen, die ohne Austausch von oben herab getroffen werden, bringen unbedachte Folgen mit sich - oft für die gesamte Gesellschaft. Außerdem entsteht durch Macht ohne Aufsicht ein Nährboden für Egoismus und Klientelpolitik, in dem Netzwerke von käuflichen Abgeordneten Gesetze für die Meistbietenden machen, um dann lukrative Posten in Aufsichtsräten anzutreten.
Es ist ganz klar: Einflussnahme, Selbstbereicherung und Hinterzimmergespräche haben in einer Demokratie keinen Platz. Transparenz und offene Kommunikation sind Grundvoraussetzung für ein funktionierendes parlamentarisches System. Ohne diese Grundkultur werden Entscheidungen getroffen, die zum Vorteil Einzelner Wettbewerb, Innovation und Zukunftsfähigkeit hemmen, und damit langfristig der Gesellschaft schaden - was das Fundament demokratischer Instititutionen zersetzt und Einfallstore für Populisten und Autokraten eröffnet.
Gerechtigkeit durch Vielfalt
Auch jenseits von mutwilligen Fehlentscheidungen zur Selbstbereicherung kann es leicht zu Fehlern kommen, wenn die Perspektiven der Entscheidungsträger zu einseitig sind. Wenn ein Gremium von Juristen darüber entscheidet, wie die Zukunft der Landwirtschaft aussieht, ist es nicht überraschend, wenn dabei kein sinnvolles Ergebnis heraus kommt. Auch das ist Teil der europäischen Idee - dass die vielfältigen Perspektiven der Menschen eine Stärke sind.
Zu oft werden im Diskurs verschiedene Perspektiven und kulturelle Hintergründe als Problem dargestellt, als störende Quelle von Meinungsverschiedenheiten und Streit wahrgenommen. In der Tat macht Meinungsvielfalt es nötig, dass sich intensiv ausgetausch werden muss - doch das ist die Basis der Demokratie! Wir lernen aus unserer eigenen Geschichte, dass wirklich schreckliche Irrwege genau dann beschritten werden, wenn die Meinungsvielfalt fehlt. Das gilt auch für die Herausforderungen unserer Zeit: Erst wenn eine Vielzahl verschiedener Perspektiven in die Debatte einbezogen wird, lassen sich wirklich gute Lösungen finden.
So entpuppt sich Vielfalt also bei näherer Betrachtung als unsere größte Stärke. Egal ob die unterschiedlichen Beziehungen in der gemeinsamen europäischen Außenpolitik, den vielen verschiedenen Wirtschafts- und Industriebereichen oder im Austausch zwischen den zahlreichen Universitäten: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile, denn wir lernen voneinander und miteinander, und können jede Herausforderung von verschiedenen Winkeln gleichzeitig angehen.
Dieser Vorteil gilt nicht nur für die Europäische Union als Staatenbund, sondern auch auf allen Ebenen unserer Gesellschaft - ob in Parlamenten oder in Unternehmensvorständen, in Vereinen oder in Verwaltungen. Die europäische Idee zu leben bedeutet, offen zu sein für verschiedene Perspektiven. Ob Sprache, Geschlecht, Herkunft, Identität oder Beruf, es ist wichtig, die Interessen aller Menschen zu beachten. Dazu braucht es auch entsprechend vielfältige Entscheidungsgremien.
Standards setzen - auch für uns selbst
Als gemeinsamer Markt hat Europa enormen wirtschaftlichen Einfluss, den wir nutzen müssen, um klimaneutrales, sozial gerechtes und nachhaltiges Wirtschaften weltweit zu etablieren. Das ist durch europaweite Standards wie die Datenschutzgrundverordnung bereits an einigen Stellen gelungen, doch das Aufgabenfeld ist breit: Von einem Lieferkettengesetz, um Ausbeutung und Umweltschäden auch außerhalb Europas zu verhindern, über ein Steuersystem, das internationale Konzernen keine Schlupflöcher mehr bietet, bis zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, um die von unseren Nationalstaaten verursachten Schäden der Vergangenheit aufzuarbeiten und gemeinsam Lösungen für globale Risiken zu finden.
Doch auch innerhalb Europas müssen wir dafür sorgen, dass unsere Prinizipien eingehalten werden - Rechtsstaatlichkeit, Sexuelle Selbstbestimmung und Menschenrechte sind die Grundsteine der europäischen Union, keine verhandelbaren Versprechungen. Das gilt auch an unseren Außengrenzen!
Das europäische Projekt ist eine großartige Idee und ein friedensstiftender, positiver Einfluss auf die globale Situation, den wir dringend brauchen. Um die Vision eines geeinten Europas aber wirklich umzusetzen, braucht es überzeugte Europäer - wir alle können einen Beitrag leisten, um diesem Ziel ein Stück näher zu kommen.