Im Jahr 1712 publizierte der französische Frühaufklärer Abbé de Saint-Pierre einen Plan: ein dauerndes, ewiges Bündnis zum Zweck der Erhaltung eines ununterbrochenen Friedens in Europa. In diesem Entwurf schlug er einen ständigen Bundesrat mit 24 staatlichen Mitgliedern vor, mit gemeinsamer Staatskasse, Zollunion und offenen Grenzen.
Die Idee eines europäischen Staatenbundes ist also schon deutlich älter als die Europäische Union. Sie ist älter als die Weltkriege, älter als die industrielle Revolution, ist wie viele unserer gesellschaftlichen Errungenschaften eine Idee der Aufklärung. Unser heutiges politisches Konstrukt ist aber auch ein Prozess der europäischen Geschichte nach der Zeit der Aufklärung: Wie immer wenn es darum geht, Ideen in politische Realität umzusetzen, folgt ein langwieriger Prozess voller Kompromisse, der sich wenn überhaupt nur sehr langsam der ursprünglichen Idee annähert.
Die Realität der EU ist ein großartiger, von Partikularinteressen getrübter, über Generationen weiterentwickelter und manchmal frustrierender Institutionskomplex, der uns seit 71 Jahren den Frieden in Europa sichert - eine Leistung, die uns heute selbstverständlich erscheint, aber das keinesfalls ist. In diesem Sinne möchte ich heute an die Grundlagen der europäischen Idee erinnern, während wir uns auf eine Bundestagswahl vorbereiten, deren Ergebnis auch die Entwicklung dieses Staatenbundes maßgeblich beeinflussen wird - denn Deutschland war in den letzten Jahren im Europäischen Rat der Nationalregierungen eher ein Bremsklotz.
Gerechtigkeit und Sicherheit
Steuerlast, Einkommen und Lebensqualität müssen gerecht verteilt werden. Es kann nicht sein, dass einige zum Schaden aller handeln oder zukünftige Generationen die Kosten heutiger Profitinteressen tragen müssen. Staaten haben nicht die Aufgabe, den aktuellen Status Quo zu zementieren, sondern die Gesundheit und Freiheit der Menschen langfristig zu sichern.
Als mächtiger Staatenbund braucht die EU eine gemeinsame, einheitliche Außen- und Wirtschaftspolitik um dafür zu sorgen, dass Steuern gezahlt, Klimaschutz und faire Arbeitsbedingungen eingehalten werden.
Demokratie und Transparenz
Wenn Menschen in politischen Ämtern käuflich sind, aus eigenem Profitinteresse Entscheidungen zugunsten von lobbyierenden Großkonzernen oder gar diktatorischen Regimes treffen, ist das nicht nur unethisch und richtet wirtschaftlichen Schaden an. Es untergräbt das Vertrauen der Menschen in die Politik und öffnet Einfallstore für Populisten und Nationalisten, zersetzt also unsere Demokratie selbst. Deshalb brauchen wir endlich verbindliche, wirksame Transparenzregeln und harte Strafen für Fehlverhalten.
Toleranz und Vielfalt
Die humanistische Idee ist nicht, dass die Menschenrechte an den Außengrenzen enden. Die unmenschlichen Zustände in den Lagern der Mittelmeeranrainer, das verbrecherische Verhalten von Frontex und die Ausbeutung des globalen Südens werden maßgeblich von der Bundesrepublik Deutschland mitgetragen. Das muss ein Ende haben.
Ich wünsche uns allen einen schönen #Europatag und einen produktiven Austausch über den richtigen Weg in ein zukünftiges Europa, das durch die grandiose Idee der Aufklärung beflügelt an Stärke gewinnt und eine Kraft für Frieden, Demokratie und Gerechtigkeit weltweit werden kann.